Wer kein Eigenheim hat, den stellt die Elektromobilität noch vor gewisse Herausforderungen – Zwei Wochen Alltag und ein abenteuerlicher Ausflug mit dem Nissan Leaf.
Es ist halb zwei Uhr nachts. Der Tag war lang. Ich will jetzt vor allem ins Bett. Aber das muss noch warten. Erst braucht der Nissan Leaf ein Plätzchen für die Nacht. Eins mit Ladesäule, denn die Restreichweite beträgt nur noch gut 20 Kilometer. Das reicht nicht für die am nächsten Tag geplante Strecke.
Also muss ich jetzt eine Ladestation finden. Eigentlich ganz einfach, das Navi im Leaf kennt die Standorte. Einer soll nur 274 Meter von meiner Haustür entfernt sein. Nun ist mir an der angegebenen Adresse zwar eine Ladestation bekannt, allerdings ist die fürs Carsharing der Bahn reserviert. Und derzeit komplett durch eine Baustelle blockiert. Eine andere finde ich nicht. Aus dem Internet erfahre ich, dass sie sich im Parkhaus befindet. Für den Zugang ist eine Ladekarte erforderlich, die ich nicht habe. Kostenfrei parken dürfen nur “Mini-E-Privatnutzer”. Und nutzbar sei die Säule von sechs bis 24 Uhr.
Der entspannte Alltag
Aber hey, die nächste Ladestation ist nur knapp 600 Meter entfernt. Als ich sie erreiche, steht dort ein C-Zero des Carsharings von Citroën. Und zwar so ungünstig, dass ich Sorge habe, ob das Ladekabel lang genug ist, um die freie Dose zu erreichen. Am Ende passt es gerade so. Wäre der Stromanschluss beim Leaf nicht in der Nase, hätte ich die nächste Säule suchen müssen. Immerhin: Einmal eingestöpselt startet der Ladevorgang ganz von selbst. Der Heimweg über den dunklen Schulhof dauert 15 Minuten.
Am nächsten Morgen parke ich den Leaf vor dem Frühstück um – man will die Säule ja nicht unnötig blockieren. Auf dem Hinweg hole ich Brötchen. Die Sonne scheint, der kleine Spaziergang tut gut.
Reichweite ist für meine üblichen Wege kein Thema, obwohl es beim Büro keine Ladesäule gibt. Die fast lautlose Fortbewegung macht Spaß. Der E-Motor des Leaf hat ordentlich Drehmoment. Der Innenraum ist wohnlicher als in den meisten Elektroautos, die Ausstattung ist fast komplett.
Etwa einmal wöchentlich müsste ich an die Ladesäule. Kein Problem eigentlich. Für die Momente, wo man es mal etwas weiter zur Säule hätte, wäre ein Klapprad als Zusatzausstattung nicht übel. Aber: Zumindest in einer Stadt wie Berlin funktioniert E-Mobilität. Wenn man kompromissbereit ist. Und keine größeren Ausflüge plant.
Ohne Erfahrung unterwegs
Wir planen einen Ausflug. Das Ziel: die surreale tropische Urlaubswelt Tropical Islands, 70 Kilometer südlich von Berlin. Nun muss man wissen, dass der Leaf in der Praxis auf etwa 125 bis 130 Kilometer Reichweite kommt und es beim Tropical Islands keine Ladestation gibt. Vor uns liegt zudem ein gutes Stück Autobahn. Ein Streckenprofil, mit dem ich so gut wie keine Erfahrung habe.
Ich hole die Ausflugsgesellschaft am Morgen ab – das ist nur ein kleiner Umweg. Wir sind gut vorbereitet: Weil Lüftung und Heizung die Reichweite um rund 20 Prozent verringern, sind wir mit Mützen, Schals und dicken Jacken ausgerüstet.
In Rudow, kurz vor der Stadtgrenze, halten wir schon wieder an und machen Frühstücks-pause. Dort steht die letzte Ladestation auf dem Weg, rund 54 Kilometer vor dem Ziel. Sollten wir auf dem Rückweg Probleme bekommen, könnten wir wieder in Rudow zwischenladen. Zugegeben, das hat etwas Rückständiges, fast wie in den Zeiten vor dem Auto, als man noch regelmäßig für Wasser und Hafer stoppen musste. Wegen der Pferde. Aber wir sind bereit, Opfer zu bringen für die Mobilität der Zukunft.
Der Schleicher bin ich
Soweit klappt alles reibungslos. Nach Kaffee und Croissants beim Bäcker und einem kleinen Spaziergang geht es vollgeladen auf die Autobahn. Mit 80 km/h. Das fühlt sich unendlich langsam an. Und gefährlich. Mein Blick ruht mehr im Rückspiegel als auf der Straße. Alle anderen erscheinen mir wie Raser. Dabei bin ich der Schleicher – sagt zumindest die ein oder andere geschüttelte Faust.
Aber wir haben gespart. Mit einer Rest-reichweite von 114 Kilometern rollen wir auf den Parkplatz vor der gigantischen Halle, die mit einem enormen Aufwand auf 30 Grad geheizt wird. Energie im Überfluss wird hier in die Luft geblasen, aber für eine Ladesäule ist offenbar nichts übrig.
Als wir uns gut erholt wieder auf den Heimweg machen, ist es dunkel, und die Temperatur ist deutlich gefallen. Die Scheiben im Leaf beschlagen schon nach wenigen Metern Fahrt. Aber die Lüftung bleibt aus.
Die unschöne Zwangspause
Wir unterhalten uns nur wenig auf dem Heimweg. Die Reichweite im Verhältnis zur verbleibenden Strecke ist das beherrschende Thema. Die beiden Werte nähern sich zunehmend an. Reichweitenangst macht sich breit und zehrt fast unsere Entspannung auf. Es wird knapp werden. So knapp, dass im Auto auch die Stimmung zwischenzeitlich merklich abkühlt.
Aber wir schaffen es bis Rudow und entspannen wieder. Wir entscheiden uns sogar, die Ladesäule zu verschmähen. Schließlich wird das Netz immer dichter, je näher man dem Zentrum Berlins kommt. Unser nächstes Ziel heißt Sonnenallee. Da soll es eine RWE-Säule geben. Einige rote Ampeln später brauchen wir die auch. Nur finden wir sie nicht. Da, wo das Navi sie vermutet, ist nichts zu sehen. Also parken wir den Leaf, steigen aus und machen uns zu Fuß auf die Suche. Gegenüber vom Hotel Estrel finden wir die Station. Als ich den Leaf hole, begrüßt er mich mit einer gelben Warnleuchte und dem Hinweis: Ladestand niedrig. Es stehen noch 16 Kilometer im Display.
Nach einer entspannten Stunde in der Lobby des Hotels Estrel haben wir wieder 63 Kilometer auf der Anzeige. Das reicht locker und heißt auch: Endlich wieder Heizen! Und Gas geben.
Der Artikel erschien am 3. November 2012 in der “Berliner Zeitung”.
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