Weil offenbar alle Superlative ausgereizt sind, begibt Mercedes sich sprachlich schon mal ins Reich der Zauberei. Dabei hätte die neue S-Klasse das gar nicht nötig.
Gut und gerne 20 Zentimeter hoch ist die Bodenwelle. Nicht besonders scharfkantig, aber bei 35 km/h bringt sie die S-Klasse schon ganz schön ins Nicken und Schwanken. Jedenfalls solange der Wahlschalter in der Mittelkonsole auf S wie Sport steht. Unkomfortabel ist das nicht, aber Magie ist nicht am Werk.
Das ändert sich mit einem Druck auf den erwähnten Knopf. Das adaptive Fahrwerk ist nun im Comfort-Modus. Eine Stereokamera im oberen Bereich der Windschutzscheibe scannt die Fahrbahn, nimmt die Bodenwelle wahr und stellt das Fahrwerk darauf ein. Noch bevor die Vorderräder sie erreichen, werden die Dämpfer “entspannt”, sodass sie ungehindert einfedern können. Am Ende des Hügels werden Federn und Dämpfer “gespannt”, um die Nase abzufangen. Wo der Brocken eben noch merklich wippte, bewegt sich der Aufbau nun kaum noch. Der Unterschied zwischen Sport und Comfort ist beeindruckend.
Das Beste oder nichts
“Magic Body Control” nennt Mercedes das System. Ernsthaft. Und so gesehen sind die gut 5.000 Euro, die es in Verbindung mit dem V8-Motor (455 PS, 700 Nm) im S500 kostet, ein Schnäppchen. Bislang war Magie im Automobilbau ja nicht mal gegen Aufpreis zu bekommen.
Dass Mercedes sich bei der Bezeichnung für technische Features nun schon terminologisch der Zauberei bedient, zeigt, wie weit es gekommen ist: Adaptive Tempomaten, die automatisch den Abstand zum Vordermann halten, Spurhalteassistenten, die eine Weile selbsttätig steuern, Notbremsassistenten, Auffahrwarner, Nachtsichtkameras – all das ist Realität. Und natürlich bei der neuen Mercedes S-Klasse mindestens gegen Aufpreis zu haben. Aber ein Alleinstellungsmerkmal ist all das nicht mehr. Die Konkurrenz liegt insgesamt auf ähnlich hohem Niveau, und auch die E-Klasse bietet fast alles, was auch die S-Klasse kann. Aber keine “Magie”.
Immerhin ist der Anspruch für die neue S-Klasse explizit, das “beste Automobil der Welt” zu bauen. Und das Erbe ist schwer. 500.000 Mal wurde der Vorgänger verkauft, bis Ende 2012 war er konstant Marktführer in seinem Segment. Und das Schicksal von Daimler-Chef Dieter Zetsche ist eng mit dem Erfolg oder – Gott bewahre – Misserfolg der jüngsten Generation verknüpft.
Klare Linien
Also zurück auf den Boden der Realität. Gut sieht die S-Klasse aus. Die Designer haben dem Impuls widerstanden, einen großen CLA aus ihr zu machen, dessen Gestaltung nicht unbedingt harmonisch ist. Die S-Klasse ist elegant. Die Sicken in den Seiten sind deutlich klarer als bei anderen Modellen des Hauses. Das Heck nimmt Anleihen beim eingestellten Maybach, die Front zum Glück nicht.
Im Innenraum gibt es wahlweise Applikationen aus Wurzelnuss, Myrte, Esche oder Pappel. Sie bilden einen Rahmen, der sich von den hinteren Türen fortlaufend über das Armaturenbrett zieht. Die runden Lüftungsdüsen wirken edel. Der opulente Instrumententräger, der aus zwei großen LCD-Bildschirmen besteht und komplett auf reale Rundinstrumente verzichtet, ist von hinten beleuchtet.
Als Fahrer oder Beifahrer sitzt man großzügig und in der Exklusiv–Ausstattung (8.032 Euro) auf sehr schön gesticktem und gelochtem Nappaleder mit Rautendesign. In der Langversion (mit 5,25 Metern ist sie 13 Zentimeter länger als die Standard-S-Klasse), die rund 6.000 Euro Aufpreis kostet, ist es inklusive.
Dann ist auch der beste Platz hinten rechts, sofern der Executive-Sitz (1.130 Euro) mit ausfahrbarer Beinauflage verbaut ist. Das Entertainmentsystem mit zwei Monitoren an den Vordersitzen (2.856 Euro) oder das Audiosystem mit 3D-Surround-Sound (7.497 Euro) sorgen für multimedialen Luxus.
Beste Aerodynamik
Die neuen Motoren sollen bis zu 20 Prozent weniger verbrauchen als im Vorgänger. Für den S350 BlueTec mit 258-PS-Diesel (79.790 Euro) bedeutet das laut Norm 5,5 Liter, für den S400 Hybrid (333 PS, 85.204 Euro) 6,3 und für den S500 (455 PS, 104.600 Euro) 8,6 Liter. Letzterer lässt sich in der Praxis mit etwas mehr als 10 Litern fahren, was angesichts der beeindruckenden Leistungsentfaltung – er beschleunigt wie vom Gummiband gezogen bis zum Topspeed – ein immer noch akzeptabler Wert ist. Der später erscheinende Diesel-Hybrid ließ sich mit 4,4 Litern bewegen.
Gerade bei hohen Geschwindigkeiten kommt auch zum Tragen, dass der Anspruch vom “besten Automobil der Welt” zumindest in einem Bereich mehr als ein bloßer Anspruch ist. Denn tatsächlich ist die neue S-Klasse mit einem Cw-Wert von 0,24 die “strömungsgünstigste” Luxuslimousine der Welt, was die Windgeräusche verringert. Der S350 Bluetec Hybrid kommt gar auf 0,23, was dicht am Rekord für Serienautos liegt, den der Mercedes CLA hält.
Ist die S-Klasse also das beste Auto der Welt? Ganz ehrlich: Wen kümmert’s. Wer hinten rechts im Business-Sessel sitzt, der hat sicher andere Sorgen. Oder gar keine und genießt einfach die Reise in friedlicher Isolation.
Der Artikel erschien am 6. Juli 2013 in der “Berliner Zeitung”.
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