Endlich: Toyota hat sich auf seine Sportwagenhistorie besinnt und die Drift-Legende Corolla AE86 wiederbelebt – und den S800 und den 2000 GT gleich mit.
Die Nadel des Drehzahlmessers hüpft zwischen 5.000 und 7.000 Umdrehungen hin und her. Genau da gehört sie hin, auf dem großen Rundinstrument. Der Boxer-Motor röhrt enthusiastisch und reagiert auf jede Bewegung des Gasfußes ohne Verzögerung. Die Straße windet sich auf und ab durch das Hinterland von Barcelona, Kurve folgt auf Kurve. Der Toyota GT86 nimmt sie alle mit Begeisterung, sehr neutral und ohne nennenswerte Seitenneigung. Einige der Straßen hier würden sich gut auf einer Rallye-Etappe machen. Tatsächlich aber muss ich an illegale Bergrennen denken. Die sind nämlich Teil der Historie des GT86.
Der GT86 ist Toyotas erster Sportwagen seit Jahren. Möglich gemacht hat das erst die Zusammenarbeit mit Subaru. Denn in den 1990er und 2000er-Jahren hatten Toyota Chefkonstrukteur Tetsuya Tada und sein Team zwar immer wieder Sportwagenkonzepte entwickelt und der Firmenspitze präsentiert, doch die lehnte mit dem Hinweis auf die schlechte “Kosten-Nutzen-Relation” ein ums andere Mal ab. Im Jahr 2005 tat Toyota sich dann mit dem Allradspezialisten Subaru zusammen. “Das war unsere Chance”, sagt Tada. 2007 ging es an die Arbeit, aus der nun der GT86 und der baugleiche Subaru BRZ hervorgingen.
Eine magische Zahl
Der GT86 hat dabei ganz klare Wurzeln. Da wäre der kleine Sports 800, 1965 Toyotas erster Sportwagen. Mit seinem 790 cm³ kleinen, vorn eingebauten Boxermotor und dem Heckantrieb hatte er genau das gleiche Layout wie der GT86. Der von 1967 bis 1970 gebaute 2000 GT wiederum inspirierte das Design des GT86, was vor allem in der nach hinten spitz zulaufenden Fensterlinie, aber auch in der Form der Türen oder dem geschwungenen Vorderbau erkennbar ist.
Und nicht zuletzt ist da das hierzulande weitgehend unbekannte, zwischen 1983 und 1987 gebaute, Corolla Coupé mit dem internen Modell-Code AE86. Der Hecktriebler mit Frontmotor ist so etwas wie der spirituelle Vorläufer des GT86. Leicht, agil und gut zu modifizieren, bildete sich in den 80er-Jahren schon bald eine eingefleischte Fangemeinde, nicht nur in Japan, sondern auch in den USA oder Australien, wo der “Hachi Roku” (japanisch für “acht-sechs”), gerne für den Tourenwagen- oder den Rallye-Sport eingesetzt wurde. Bis zum heutigen Tag ist er eine beliebte Wahl für Clubrennen und Drift-Events.
Einen Großteil seiner Popularität in Japan verdankt der AE86 allerdings den so genannten “Touges”, illegalen Rennen, die über winklige Bergstraßen führen. Sie sind das Hauptthema in dem japanischen Manga “Initial D”.
Langeweile gibt’s woanders
Heute gebe es diese illegalen Rennen kaum noch, sagt GT86-Entwicklungschef Tada. Die Polizei gehe rigoros dagegen vor. Doch dafür gibt es inzwischen diverse legale Events auf abgesperrten Bergpässen. Und natürlich nach wie vor eine aktive AE86-Szene in den USA, in Australien und natürlich auch in Japan.
Nicht nur die wenigen AE86-Enthusiasten dürften den geistigen Nachfolger GT86 zu schätzen wissen. Mit nur 200 PS aus dem Zweiliter-Boxermotor, ist der GT86 wahrlich nicht übermotorisiert (der Spurt auf Tempo 100 dauert immerhin 7,6 Sekunden), aber er wiegt auch nur 1.239 Kilo. Und wie er diese Leistung abliefert, das ist eine Freude für alle, die die typische Leistungsentfaltung eines modernen Turbomotors etwas langweilt. So liegt die maximale Leistung des Saugmotors erst bei 7.000 Umdrehungen an, das Drehmoment von 205 Newtonmetern steht erst zwischen 6.400 und 6.600 Touren vollständig zur Verfügung.
Man muss ihn also ordentlich treten und öfter mal den Gang wechseln, um das Potenzial auszunutzen. Die Sechsgangschaltung wirkt dabei zwar manchmal eine Spur hakelig, doch mit gefühlvollem Nachdruck bewegt, findet man die richtigen Gänge ohne Probleme. Dabei sorgt das Fahrwerk für eine Menge Vertrauen bis weit in den Grenzbereich, der dank ordentlich Grip sehr spät anfängt.
Klassische Moderne
Auch die Lenkung ist schön direkt, sodass man das Heck des GT86, wenn es denn mal ausschert, auch bei ausgeschaltetem Schleuderschutz (bei Toyota heißt er VSC) schnell wieder eingefangen hat. Einige Runden auf der Rennstrecke wurden so zum ebenso großen Vergnügen wie die Fahrten auf den winkligen Landstraßen.
Nun ist der GT86 mit einem Grundpreis von 30.450 Euro zwar nicht unbedingt billig, aber die Grundausstattung ist gut, das Interieur sieht mit seinem hohen, steil stehenden Armaturenbrett und den schönen Kippschaltern angemessen sportlich aus. Es ist eine zeitgemäße Interpretation eines klassischen Sportwagen-Cockpits. Die Verarbeitung ist zudem ordentlich, die Sitze sind bequem und bieten viel Seitenhalt. Klar, man könnte sich über den hohen Normverbrauch von 7,8 Litern echauffieren. Aber, ganz ehrlich? Wenn man so Kurve für Kurve über die Bergpässe räubert, ist das herzlich egal.
Dieser Artikel erschien am 19. Mai in der “Berliner Zeitung”.
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